Worte und Einsamkeit
Es war irgendwann während dieser seltsamen Zeit letztes oder dieses Jahr, als mir Worte zu viel wurden, all die Worte in Zeitungen, Blogs, YouTube, Videos, Büchern. All die Meinungen, die nie wirklich durchdachten Worte, viel zu schnell ausgesprochen, aber immer heftig und unumstößlich als einzige gültige Wahrheit präsentiert.
Meine Mutter beklagte die Einsamkeit, plötzlich kein geselliges Leben mehr und so auch weniger Worte. Da fiel mir auf: Ich fühle mich nicht einsam. Ich finde morgens Sprachnachrichten und Textnachrichten in meinem Smartphone, ich telefoniere, ich schreibe, ich drehe Live- Videos, ich lese , ich kommuniziere den ganzen Tag, sogar, wenn ich die Augen schließe und in die Stille gehe, kommuniziere ich, stelle mir Gespräche vor, verbinde mich mit der Welt, mit Menschen ohne Worte.
Ich erlebe täglich die Vielfalt der Kommunikation, während ich mich vorher oft im sogenannten sozialen Leben isoliert fühlte, weil ich Menschen sah, die getrennt voneinander koexistierten. Sie redeten nicht miteinander, sie hatten nur Angst vor dem Alleinsein.
Gemeinsam einsam - diese Angst hatte ich mein Leben lang. Alles, nur nicht allein sein, das war oft der einzige Grund für Beziehungen.
„Ich hatte immer Angst als seltsamer einsamer Mann allein in einer Einzimmerwohnung zu enden,“ sagte mir mal ein Exfreund, "doch jetzt bist du ja da.“
Diese Worte trennten. Sie zeigten mir meine eigene Angst auf brutale Art und Weise und nach unserer Trennung fühlte ich zum ersten Mal die verbindende Kraft der Einsamkeit. Wir hatten uns aus Liebe zu uns selbst getrennt und die Angst vor der Einsamkeit überwunden. Immer wieder erlebte ich diese Bündnisse aus Angst und das Gefühl der Einsamkeit, in Gruppen, Beziehungen und Freundschaften und dann das Gefühl des All-eins- Seins bei Wanderungen durch die Natur, beim Lesen, Schreiben, Singen, Meditieren, Sein.
Und ich merkte, dieses Gefühl der Einsamkeit hat nichts mit der physischen Nähe anderer Menschen zu tun. Es ist in mir.
Kommunikation
Ich glaube, wir fühlen uns einsam, wenn wir nicht mehr verbunden sind, wenn wir aufhören zu kommunizieren in einem ständig kommunizierenden Universum. Doch diese Kommunikation lässt auch Brüche und Uneindeutiges zu. Sie kann schweigen, flüstern, Sätze anfangen und nie beenden, lächeln, mit den Augen reden, berühren.
Ich wandte mich also in dieser Krise von den lauten Diskussionen ab und fand in privaten Nachrichten treffendere und poetische Worte: Sie fühle sich wie in einer Zombie- Apokalypse, sagte eine Freundin. Ein böser Traum, aus dem man hofft aufzuwachen. Ich sah, wie auch in dieser distanzierten Zeit Beziehungen entstanden, Kinder geboren und Berufungen gelebt wurden.
Sie hätte nichts gegen den zeitweiligen Lockdown, sagte eine andere Freundin, das ist „Menschen Fasten“. Manchmal braucht mensch auch Zeit für sich, mit sich, um sich darüber klar zu werden, welche Kontakte echt sind.
Das brachte mich zum Nachdenken. Mit wem möchte ich wirklich Zeit verbringen? Die Kontakte aus Angst vor Einsamkeit fielen radikal weg. Die Zeit mit anderen Menschen in der Natur genoss ich mehr, sie war schöner und intensiver als je zuvor, weil sie nicht mit Gruppen und Small Talk, sondern echten Freunden und Gemeinschaft verbracht wurde, weil ich alles von der ersten bis zur letzten Minute wirklich wollte.
Die Momente der Langeweile, des heimlichen Schweigens und gemeinsamen Zeit Totschlagens -vorbei. Der Nebenjob im Großraumbüro - vorbei, stattdessen erste Schritte in die echte Selbstständigkeit.
Poesie der Stille
Und daraus entstanden neue Worte.
Eine Menge neue Wörter.
Worte, die mehr Subtext, mehr Zwischentöne sind. Worte, die im Schweigen entstehen.
Am Anfang des Jahres 2020 saß ich mit fremden Menschen in einem kleinen Raum, Kerzen, Räucherstäbchen und eine Schweigemeditation. Wir schwiegen gemeinsam 3 Stunden. In dieser Zeit hatte ich das Gefühl, wir reden die ganze Zeit, ich entdeckte das Schweigen nicht, die Abwesenheit von Kommunikation bedeutet. Schweigen kann Angst, Trennung und Kälte bedeuten, doch genau so Liebe, Verbundenheit und Wärme. Nach diesen 3 Stunden hatte ich das Gefühl, mit diesen Menschen ein tolles Gespräch geführt zu haben.
Echte Nähe.
Und ich dachte an diese viel zu engen Vorstellungen unserer Gesellschaft von dem, was es bedeutet, einen Menschen wirklich zu kennen. Meiner Erfahrung nach schafft nicht das Wissen über einen Menschen Verbindung, sondern der Subtext. Ein Blick, eine Umarmung, ein kurzes Gespräch, das tief geht. Gemeinsam sein und sich wirklich sehen und annehmen. Intime Momente, in denen wir einander einen Blick in unsere Seele gewähren. Nähe entsteht, sie kann nicht durch das Abhaken bestimmter Aktivitäten hergestellt werden.
Lyrik lässt Nähe zu
Gedichte können das, deshalb zeigte ich sie lange nicht gern, weil ich, wenn ich es doch tat, das Gefühl hatte, diese intimen Momente zu verschenken. Ich wollte teilen, nicht mich verkaufen oder darstellen. Jetzt sehe ich es ein bisschen anders. Ich habe keine Kontrolle darüber, wie andere Menschen auf meine Lyrik reagieren. Ich muss meine Texte geben, sie sind mein Beitrag für die Welt. Jede*r hat die Freiheit, darauf zu reagieren, wie sie/er mag, und frei zu interpretieren. Ich muss Raum lassen für das stille Nachdenken.
Rückzug
Es gab immer wieder Zeiten in meinem Leben, in denen ich von Emotionen so überwältigt war, dass ich mich zurückziehen musste. Ich konnte Liebe nicht in mein Leben lassen und lernte, dass dieses Nicht reagieren sehr verletzend ist und meinen Mitmenschen tiefe Wunden zufügen kann. Doch irgendwie haben manche von ihnen mein Schweigen auch verstanden.
Sie fühlten, dass ich nicht im Groll und Gleichgültigkeit ihre Nachrichten las und ihrer Anrufe ignorierte, sondern in tiefer Verbundenheit und Liebe. Ich wollte antworten und konnte es nicht, irgendwann konnte ich es wieder und die Freundschaften gingen weiter.
Später habe ich diese Zeit vergessen und das Schweigen von anderen nur als Feindseligkeit und bedrohliches Nichts wahrgenommen.
Doch seitdem es stiller geworden ist in der Welt, merke ich, dass Schweigen neutral ist und alles bedeuten kann: Liebe, Gleichgültigkeit, Wut, Zärtlichkeit, Trauma, Angst, Freude. Genauso wie schöne große Worte manchmal eine dunkle Bedeutung haben, Distanz wollen, obwohl sie das Gegenteil behaupten.
Wenn wir als Menschen wieder Verbundenheit erleben wollen, geht es nicht um Schweigen oder Reden. Es geht um Blockaden, Hindernisse, Distanz und die Frage, wie wir das überwinden können.
Und wie jetzt ?
Eine Möglichkeit: Das Gegenüber in der Gesamtheit wahrnehmen, nicht nur den winzig kleinen Teil, den es nach außen zeigt.
Mit Kommunikation, die eben auch mal Schweigen bedeuten kann, nur sollte es da nicht enden. Der Rest ist Schweigen? Nein. Leben ist alles: mentaler und physischer Kontakt, Schweigen und Reden, Lachen und Weinen, körperliche und geistige Nähe. Lassen wir es doch zu, lassen wir das Leben wieder zu, auch wenn die Umstände schwierig sind. Das Leben bleibt.
Über den Wäldern schimmert bleich der Mond der uns träumen macht die Weide am dunklen Teich weint lautlos in die Nacht ein Herz erlischt und sacht die Nebelfluten und steigen schweigen schweigen !
Georg Trakl
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P.S.: Am 29. Mai findet mein Online-Workshop "Schatten mit Poesie in Licht verwandeln. Abendlicher Schreibworkshop" statt, 18-20.30 Uhr. Dort kannst du ganz bei dir und doch verbunden sein und du kannst die Kraft der Poesie entdecken. Ihre Kraft, deine Schatten in Licht zu verwandeln. Ich freue mich, wenn du dabei bist. Deine Ulrike
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